1.5 Internationale Werbegestaltungsplanung

Bei der Entwicklung von Werbemitteln geht es zum einen um die Gestaltung formaler Elemente

wie Bild, Schrift und Farben, zum anderen um die inhaltliche Präzisierung der Positionierung in

Form einer Kernbotschaft. Diese Präzisierung in sprachlicher und bildlicher Hinsicht bezeichnet

man auch als Positionierungskonzept.


Angesichts der Bedeutung der Werbung für den Markenaufbau hat die Kreativität bei der Werbemittelgestaltung einen hohen Stellenwert. Dem entgegen ist jedoch zu beobachten,

dass viele internationale Kampagnen wenig kreativ sind. Inhaltsanalysen von Anzeigen belegen,

dass in der Automobilwerbung bestimmte Werbebotschaften überdurchschnittlich häufig verwendet werden und oft auch formal mit den gleichen, stereotypen Bildmotiven umsetzt werden (Clifton 1997,

S. 155; Dmoch, Wisniewski 2000, S. 54). Die Austauschbarkeit der Werbung ist mit einem weit reichenden Werbewirkungsverlust verbunden (Kroeber-Riel, Esch 2000, S. 53).


Zurückzuführen ist die Austauschbarkeit auf Engpässe bei der Werbegestaltung. Erstens werden

zu Beginn meist zu wenige Ideen gesammelt, obwohl nach Erkenntnissen der Kreativitätsforschung

nur ein Bruchteil letztlich zur Umsetzung geeignet ist. Zweitens sind viele Kreative bei der Gestaltung internationaler Werbung überfordert, weil ihnen tiefere Einsichten in die Gefühls- und Erfahrungswelt ausländischer Zielgruppen fehlen. Aus dieser Unsicherheit heraus tendieren sie dazu, auf alle mut-

maßlich kulturspezifischen Elemente zu verzichten: das Fotomodell, die Frisur, das rote Kleid, die Art,

wie der Tisch gedeckt ist. Dieses Vorgehen führt meist zu langweiliger Werbung, die die Empfänger emotional nicht berührt.

 

Die Unkenntnis kultureller Eigenarten führt zu langweiliger Werbung

 

Abbildung 12: Die Unkenntnis kultureller Eigenarten führt zu langweiliger Werbung


Für die treffsichere Positionierung ist von Werbeagenturen nicht nur eine hohe Kreativität, sondern

auch die Berücksichtigung strategischer und verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zu fordern.

Dem trägt ein in Anlehnung an die Neuproduktentwicklung konzipierter Prozess zur systematischen Ideensuche Rechnung, der in vier Arbeitsschritten besteht (Esch 1996, S. 365; Kroeber-Riel, Esch 2000, S. 82 ff.):


1. Generieren von Positionierungskonzepten,
2. Aussondern ungeeigneter Positionierungskonzepte,
3. Operationalisierung und systematische Überprüfung,
4. Auswahl und Umsetzung eines Positionierungskonzeptes.


Die Besonderheit dieses Vorgehens besteht darin, dass die Ideensuche breit angelegt und die Kulturgebundenheit von Bildvorstellungen berücksichtigt wird. Zu 1.): Beim Generieren von Positionierungskonzepten kann man nach Kroeber-Riel (1989) zwei wichtige Suchfelder heranziehen:
verhaltenswissenschaftliche Möglichkeitsanalysen, inhaltsanalytische Bestandsaufnahmen.


Im Rahmen der Verhaltenswissenschaften liefern die Kulturanthropologie und die Psychologie

zahlreiche Anregungen für die sprachliche und bildliche Umsetzung, die vermutlich eine hohe internationale Verständlichkeit aufweisen. Anregungen liefert z.B. die Bedürfnishierarchie von Maslow,

der zufolge fünf Bedürfnisarten zu unterscheiden sind (vgl. Tabelle 3). Nach Maslow werden zunächst

die niederen Bedürfnisse befriedigt, bevor man die nächste Bedürfnisstufe erklimmt.

 

Beispiel für die Suche nach Positionierungskonzepten für den Volkswagen Lupo

 

Tabelle 3: Beispiel für die Suche nach Positionierungskonzepten für den Volkswagen Lupo (Quelle: Volkswagen AG).

 

Auch Lebensstilstudien beschreiben typische Verhaltensmuster bestimmter Gruppen, die international ähnliche Vorstellungen auslösen können. Weitere Ideen können inhaltsanalytische Bestandsaufnahmen von Print- (Comics) und elektronischen Medien (Unterhaltungssendungen) liefern, die wirksam sind, aber in der Werbung noch nicht genutzt werden (Kroeber-Riel 1989, S. 256 ff.).


Solche mitunter klischeehaften Vorstellungen auf Basis bekannter Kinofilme oder TV-Serien erhöhen

nicht nur die Ideenfülle, sondern erleichtern internationalen Arbeitsgruppen auch die Verständigung

über die Ideen. Statt über Worte zu streiten, können sich Marketingleute unterschiedlicher kultureller Prägung viel besser anhand von Bild-Collagen bzw. Mood Boards verständigen, die Elemente aus international bekannten Spielfilmen, Märchen, Comics und Kunstwerken verwenden.

 

Diese sind aufgrund ihre internationalen Verbreitung und ihrer höheren Informationsdichte erfahrungsgemäß besser als Worte geeignet, bestimmte Gefühlswelten für das Briefing der Agentur allgemeinverständlich zu beschreiben. Die Ideenfülle kann durch Kreativitätstechniken und Computerprogramme zur Ideenfindung weiter gesteigert werden. Beispielsweise verfügt das CAAS-Suchsystem über ein Modul zum Generieren von Bildideen für die Werbung, das nicht nur Techniken

zur Stimulation der Kreativität des Nutzers bereitstellt, sondern auch eine Datenbank mit mehr als

80.000 Bildideen umfasst. Die Datenbank bietet auch Informationen darüber, wie stark bestimmte Bildvorstellungen in der Bevölkerung verbreitet sind (Esch 1996, S. 378).

 

Prinzipiell wäre dieses System auch dazu geeignet, den Kreativen kulturelles Know-how in Form

der in verschiedenen Nationen verbreiteten Bildvorstellungen bereitzustellen (Dmoch 1996, S. 33).

Die Datenbank mit Bildvorstellungen von Menschen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz

finden Sie auf dieser Website.

 

Eine andere Möglichkeit, die Ideenfülle zu erhöhen und kulturelles Know-how in den Entwicklungs-prozess einfließen zu lassen, besteht darin, mehrere Agenturen aus verschieden Ländern mit der Konzeptentwicklung zu beauftragen. Beispielsweise besteht das Audi Agency Network aus fünf Agenturen aus Deutschland, Italien, Großbritannien, Spanien und Frankreich. Es hat sich bewährt,

weil es einem Kreativwettbewerb gleichkommt.


Zu 2.): Während im ersten Arbeitsschritt die in der Zielgruppe verbreiteten Bildvorstellungen der Steigerung der Ideenfülle dienen, helfen sie in der zweiten Phase beim Aussondern ungeeigneter Positionierungskonzepte. Dazu werden die Ideen zunächst hierarchisch geordnet und ähnliche Vorschläge zu Clustern zusammengefasst. Danach sind jene Positionierungsideen auszusondern, die

 

  • nicht im Einklang mit der Unternehmensphilosophie stehen,
  • keine Abgrenzung von der Konkurrenz bewirken,
  • für die Zielgruppe nicht relevant sind,
  • zu hohe Anforderungen an die Umsetzung stellen.


Die Abgrenzung von der Konkurrenz ist ein neuralgischer Punkt, weil die internationale Positionierung über dasselbe Positionierungskonzept nur dann erfolgreich ist, wenn es in allen Ländermärkten gleichermaßen eigenständig ist (Köhler 1993, S. 101).


Hinweise auf die Positionierung der Konkurrenz liefern Inhaltsanalysen der Werbung (Dmoch,

Wisniewski 2000). Beispielsweise zeigten entsprechende Studien, dass bestimmte Eigenschaften

des Volkswagen Lupo bereits von der Konkurrenz besetzt waren und mit hohem Werbedruck kommuniziert wurden.

 

Beispiel für die Inhaltsanalyse von Konkurrenzwerbung.

 

Tabelle 4: Beispiel für die Inhaltsanalyse von Konkurrenzwerbung.

 

Da es sich bei Sicherheit und Zuverlässigkeit um ohnehin bekannte Eigenschaften von Volkswagen handelt, entschied man sich, sie nicht in der Werbung zu kommunizieren. Die Positionierung über Prestige verbot sich, weil Volkswagen gemäß seinem Markenleitbild für Statusneutralität steht.
Am Ende dieses Prozesses steht ein Positionierungskonzept, das für die Umsetzung in Frage kommt. Bei Volkswagen wurde auf Basis der Vorarbeiten die Entscheidung gefällt, den Lupo über „Selbstentfaltung“ zu positionieren.


Zu 3.): Bei der Operationalisierung und systematischen Überprüfung geht es um die Gestaltung

der Werbemittel, die die Positionierung vermitteln. Dabei sollte sich die Gestaltung an den Markt-

und Kommunikationsbedingungen orientieren (Esch 1996, S. 383):

 

- Die Werbung muss aufmerksamkeitsstark sein, damit sie sich angesichts der Informationsflut durchsetzen kann.

 

- Die Positionierung muss schnell erkennbar sein, weil auch Werbung für emotional stark involvierende Produkte wie Automobile vom Kontaktabbruch bedroht ist.

 

- Angesichts des flüchtigen Wahrnehmungs-verhaltens sollte die Positionierung primär über das Bild vermittelt werden, weil Bilder immer zuerst und meist auch länger betrachtet werden als verbale Botschaften. Dabei ist im Kontext der internationalen Werbung zu beachten, dass nicht nur der Text, sondern auch das Bild einer „Übersetzung“ bedarf, weil sein Verständnis den Regeln der in Zielgruppe verbreiteten Bildersprache unterliegt (Dmoch 1999, S. 180 f.).


Für den Volkswagen Lupo kamen zur Visualisierung Bilder in Frage, die Selbstentfaltung in physischer Hinsicht zeigten, z.B. die spontane Fahrt zum Meer, oder in psychischer Hinsicht, z.B. die Entfaltung

der eigenen Kreativität. Der Test von derartigen Konzepten zielt auf die Frage ab, ob die Konsumenten die beabsichtige Positionierung anhand der Entwürfe erkennen. Außerdem ist die Unterscheidbarkeit

von der Konkurrenz zu prüfen. Probleme ergeben sich beim Test meist, wenn man Gruppendiskussionen durchführt. Zum einen entspricht die High-Involvement-Situation der Befragung nicht den tatsächlichen Kommunikationsbedingungen der Werbung.

 

Sie induziert bei den Befragten eine Kritikbereitschaft, die nicht der Realität entspricht. Zum anderen beurteilen Konsumenten neue Werbekonzepte meist vor ihrem Erfahrungshintergrund, so dass neuartige Konzepte überkritisch beurteilt werden und durchfallen (Esch 1996, S. 384 f.).


Zu 4.): Zur Auswahl und Umsetzung eines bestimmten Positionierungskonzeptes bieten sich Punktbewertungsmodelle an. Auswahlkriterien können z.B. der Grad der Eigenständigkeit und die Gefälligkeit der Umsetzung sein. Bei Volkswagen fiel die Entscheidung, die Positionierung Selbst-entfaltung durch die sprachliche Formel „You don‘t have to be big to be great“ und die Abbildung von berühmten Persönlichkeiten umzusetzen. Dabei wurden solche Prominente gezeigt, die zwar von kleiner Statur waren, aber große Dinge vollbracht haben und deshalb Berühmtheit erlangt haben, z.B. Marylin Monroe, Albert Einstein oder Leonardo da Vinci.

 

Standardisierung der werblichen Positionierung des Volkswagen Lupo

 

Abbildung 13: Standardisierung der werblichen Positionierung des Volkswagen Lupo
(Quelle: Volkswagen AG).


Die Werbegestaltungsplanung ist eine repetitive Aufgabe. Die Güte der Arbeitsergebnisse ist in Bezug

auf Eigenständigkeit, Strategiekonformität und Werbewirkung präzisierbar. Jedoch ist der Arbeitsprozess nicht in allen Schritten beobachtbar, wenn man die Konzeptentwicklung an Agenturen delegiert, die üblicherweise nicht derart tiefe Einblicke zulassen. Insofern ist die Standardisierbarkeit der Werbe-gestaltungsplanung als kritisch einzustufen, wenn man die Konzeptentwicklung nicht verhaltens-wissenschaftlich absichert. Dazu ist Agenturerfahrung und Durchsetzungsmacht erforderlich, die

nicht bei allen Importeuren vorhanden ist.